Ein Schweizerbuch
René Schweizer
Ein Schweizerbuch. Die besten Briefwechsel aus 30 Jahren taktischem Wahnsinn.
Verlag Der gesunde Menschenversand
Bern 2004 (2. Aufl.)
ISBN 978-3952151778
176 Seiten
Vor 15 Jahren bekam ich einen Brief von René Schweizer. Er wollte mich als Psychologen bei einem Projekt dabei haben, das unter dem Namen Grinsatorium lief. Es sollte eine Art Hochschule des Humors werden, mit einem wissenschaftlichen Zentrum in den Tessiner Alpen und weiteren Trainingszentren weltweit. Klar, dass ich an Jux dachte, da Schweizer mir gleich sein 1. und 2. Schweizerbuch beigelegt hatte. Als bekennender Humorist wollte ich aber nicht passen und lud ihn zu einem Gespräch nach Tuttlingen ein. Er erschien pünktlich, mit einer Entourage von Sponsoren, Marketingfachleuten und PR-Fachleuten. So wurde aus dem Jux schnell Ernst: Das Projekt wurde zum Humoratorium umgetauft und 1992 bei der INFRASTRUCTA in Basel vorgestellt.
Ernst und Unernst sind für René Schweizer die Pole, zwischen denen jene kreative Energie fließt, die die geistigen Verkrustungen auf unserem Erdball weichspült. Und so fing er vor 30 Jahren an, Amtsstuben, Pfarrämter, Ordinationen und andere Schaltstellen verwalteter Alltagsnormalität mit taktischem Wahnsinn zu überziehen. Ich bin überzeugt, dass diese Gagaismen dazu beigetragen haben, dass die behördliche Routine nicht nur in der Schweiz allmählich an humorvoller Inspiration gewann. Denn wer will schon vor der Öffentlichkeit als unfreiwilliger Komiker dastehen, nur weil er in seiner Korrespondenz mit René Schweizer von seinem trägen Amtsschimmel nicht absitzen konnte oder wollte? Jedenfalls fällt beim Lesen des neuen Schweizerbuches, das einen Zeitraum von 3 Jahrzehnten abdeckt, eindeutig auf, dass die Antwortschreiben neuern Datums in jeder Hinsicht flexibler, kreativer und humorvoller ausfallen. Das mag natürlich auch damit zusammenhängen, dass René Schweizer im Laufe der Zeit die Anonymität abhanden kam, weil er sich überall in das kulturelle Leben einmischte.
1995 hatte er zum Beispiel die Idee, alle Gelotologen dieser Welt nach Basel zu bringen. Gelotologie , ein Wort, das sich auf jenen Wissenschaftszweig bezieht, der das Lachen erforscht, faszinierte Schweizer außerordentlich, vielleicht auch deshalb, weil seinerzeit niemand um die tiefere Bedeutung dieses Begriffs wusste. Tatsächlich gelang es Schweizer, den internationalen Kongress Humor in der Therapie ins Leben zu rufen, der jedes Jahr im Oktober bei der Messe Basel stattfand. Nachdem dieser Kongress, mit jeweils Hunderten von Besuchern und den bekanntesten Lachforschern aus aller Welt, zu einer Routineveranstaltung geworden war, verlor Schweizer allerdings das Interesse. Er machte sich wieder selbstständig, als Prediger in Kirchen, Talkpartner bei Sandra Maischberger, Stammtischredner, Initiator der Internet-Site humor.ch, Shakespeare-Darsteller und Verfasser weiterer Briefe, die er aus der Psychiatrischen Universitätsklinik zu Basel abschickte.
Überhaupt ist René Schweizer der Stadt am Rheinknie besonders verbunden gewesen. Wem wundert s, dass er auch den Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation in Kleinbasel lokalisierte, wie aus seiner Mitteilung an die PLO eindeutig hervorgeht (s. S. 18 in diesem Buch):
Wir möchten Sie davon in Kenntnis setzen, dass der Ihnen unter dem Namen YASSIR ARAFAT dienende Anführer aus dem Kleinbasel stammt, wo er im ALTEN SCHLAUCH als der Jasser Arafat bekannt war.
Der Jass ist ein schweizerisches Nationalkartenspiel, und der Jasser Arafat zeichnete sich durch ein überragendes Talent aus.
Nachdem er bei einem Schieber falsch gespielt hatte, wurde der JASSER ARAFAT nach Kuweit ausgewiesen, wo er eine Banklehre machte und schliesslich Ihren Verein gründete.
Wir hoffen, Ihnen mit diesen Darlegungen einen Dienst erwiesen zu haben und erwarten eine baldige Honorarüberweisung von Fr. 1'000.--
Fazit: Dieses Buch ist Pflichtlektüre für jeden, der nachvollziehen will, wie sich der zähe Ernst des Lebens mit dem Lösungsmittel Humor verflüssigen lässt. Die Voraussetzung ist einfach die, dass der normative Wahn der Alltagswelt mit respektlosem taktischen Wahnsinn demaskiert wird. René Schweizer hat vorgemacht, wie das geht.
Michael Titze